Serie: Gedichte erzählenden Inhalts.

 

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Belsazar.

Die Mitternacht zog näher schon;
in stiller Ruh lag Babylon.

Nur oben in des Königs Schloß
Da flackerts, da lärmt des Königs Troß.

Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königsmahl.

 

Die Knechte saßen in schimmernden Reihn
und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
so klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Und blindlings reißt der Mut ihn fort;
und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und brüstet sich frech und lästert wild;
die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.

 

Der König rief mit stolzem Blick;
der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand
einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
und rufet laut mit schäumendem Mund:

"Jehova! dir künd ich auf ewig Hohn, -
ich bin der König von Babylon!"

Barbarossa.

Der alte Barbarossa, der Kaiser Friederich,
Im unterird'schen Schlosse hält er verzaubert sich.
Er ist niemals gestorben, er lebt darin noch jetzt;
Er hat, im Schloß verborgen, zum Schlaf sich hingesetzt.

Er hat hinabgenommen des Reiches Herrlichkeit
Und wird einst wiederkommen mit ihr zu seiner Zeit.
Der Stuhl ist elfenbeinern, darauf der Kaiser sitzt;
Der Tisch ist marmelsteinern, worauf sein Haupt er stützt.

Sein Bart ist nicht von Flachse, er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen, worauf sein Kinn ausruht.
Er nickt als wie im Traume, sein Aug' halb offen zwinkt,
Und je nach langem Raume er einem Knaben winkt.
Er spricht im Schlaf zum Knaben: "Geh hin vors Schloß, o Zwerg,
Und sieh, ob noch die Raben herfliegen um den Berg!
Und wenn die alten Raben noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen verzaubert hundert Jahr"

  Das Gewitter.

Gust. Schwab

Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl -
Wie wehen die Lüfte so schwül!

Das Kind spricht: "Morgen ist`s Feiertag,
Wie will ich spielen im grünen Hag,
Wie will ich springen durch Tal und Höhn,
Wie will ich pflücken viel Blumen schön;
Dem Anger, dem bin ich hold!" -
Hört ihrs, wie der Donner grollt?

Die Mutter spricht: "Morgen ist`s Feiertag,
Da halten wir alle fröhlich Gelag,
Ich selber, ich rüste mein Feierkleid;
Das Leben, es hat auch Lust nach Leid,
Dann scheint die Sonne wie Gold!" -
Hört ihrs, wie der Donner grollt?

Großmutter spricht: "Morgen ist`s Feiertag,
Großmutter hat keinen Feiertag,
Sie kochet das Mahl, sie spinnet das Kleid,
Das Leben ist Sorg und viel Arbeit;
Wohl dem, der tat, was er sollt!" -
Hört ihrs, wie der Donner grollt?

Urahne spricht: "Morgen ist`s Feiertag,
Am liebsten morgen ich sterben mag:
Ich kann nicht singen und scherzen mehr,
Ich kann nicht sorgen und schaffen schwer,
Was tu ich noch auf der Welt?" -
Seht ihr, wie der Blitz dort fällt?

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Die drei Zigeuner

Drei Zigeuner fand ich einmal
Liegen an einer Weide,
Als mein Fuhrwerk mit müder Qual
Schlich durch sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein
In den Händen die Fiedel,
Spielte, umglüht vom Abendschein,
Sich ein feuriges Liedel.

Hielt der zweite die Pfeif im Mund,
Blickte nach seinem Rauche,
Froh, als ob er vom Erdenrund
Nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der dritte behaglich schlief,
Und sein Zimbal am Baum hing,
Über die Saiten der Windhauch lief,
Über sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die drei
Löcher und bunte Flicken,
Aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt,
Wenn das Leben uns nachtet,
Wie mans verraucht, verschläft, vergeigt
Und es dreimal verachtet.

Nach den Zigeunern lang noch schaun
Mußt ich im Weiterfahren,
Nach den Gesichtern dunkelbraun,
Den schwarzlockigen Haaren.

Erlkönig.

Goethe

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

  "Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"
"Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlkönig mit Kron und Schweif?" -
"Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif." -

  "Du liebes Kind, komm geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
manch'  bunte Blumen sind an dem Strand,
meine Mutter hat manch gülden Gewand."

  "Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
was Erlenkönig mir leise verspricht?" -
"Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
in dürren Blättern säuselt der Wind." -

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
meine Töchter führen den nächtlichen Reihn,
und wiegen und tanzen und singen dich ein."-

  "Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?" -
"Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau." -

  "Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt."
"Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!" -

Die Grenadiere.

Heinrich Heine.

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',
Die waren in Rußland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie ließen die Köpfe hangen.

Da hörten sie beide die traurige Mähr':
Daß Frankreich verloren gegangen.
Besiegt und geschlagen das tapfere Heer,
Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.

Da weinten zusammen die Grenadier'
Wohl ob der kläglichen Kunde.
Der eine sprach: "Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde!"

Der andre sprach: "Das Lied ist aus,
Auch ich möcht' mit dir sterben,
Doch hab' ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben."
 

"Was schert mich Weib, was schert mich Kind;
Ich trage weit besser' Verlangen;
Laß sie betteln geh'n, wenn sie hungrig sind-
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!

Gewähr' mir Bruder eine Bitt';
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab' mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band
Sollst du aufs Herz mir legen;
Die Flinte gib mir in die Hand
Und gürt' mir um den Degen.